Chaos Communication Congress '97
Hamburg, Eidelstedter Bürgerhaus, 27. - 29.12.1997
Chaos-Knoten

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Ihr müßt nicht jammern, Ihr müßt was dagegen tun

Geschichte und Essenz der Netzkultur in Deutschland

Referenten: Rena Tangens und padeluun


Angekündigt war ein Vortrag von padeluun; stattdessen gab es - nach einigen einleitenden Bemerkungen von Rena Tangens und padeluun - eine Bilanz von fünfzehn Jahren Netzkultur in Deutschland, die das Publikum zusammen mit den Referenten zog. Der Ausblick in die Zukunft war weniger einmütig, eine neue Vision oder gar eine gemeinsame Utopie gab es nicht.

Die Probleme der Vergangenheit waren hauptsächlich technischer Natur: Es gab zwar Informationen, aber diese wurden nicht vernetzt - oder wenn es Netzwerke gab, so erfuhr niemand davon: Es gab kein "Netz für alle". Um an die Informationen zu kommen - immerhin so brisante wie die neuesten Meßdaten nach Tschernobyl und ihre Bewertung durch Radiologen - und sie vielleicht noch anderen ebenfalls zur Verfügung stellen zu können, mußte man sich strafbar machen.

Die Lösungen, um die technischen Möglichkeiten nutzbar zu machen, waren zunächst oft unterschiedlich und damit nicht leicht kompatibel. Jede Lösung hatte einen anderen ideologischen Hintergrund (auch heute noch, bei dieser rückblickenden Diskussion, zeigen sich diese Barrieren als sehr resistent): Das Zerberus-Netzwerk, das einen Unterschied machte zwischen dem technisch weder interessierten noch versierten Nutzer und den Programmierern und Sysops, das Fidonetz aus Amerika, das keine Privatsphäre ermöglichen wollte, der Vorgänger der heutigen DE-Hierarchie (damals noch auf Universitäten beschränkt), bei dem Lösungen nicht von wenigen für wenige erarbeitet wurden, sondern wo neue Möglichkeiten in gemeinschaftlicher Bemühung erarbeitet wurden - das Ergebnis war Linux.

Diese Entwicklungen waren allerdings auf die (damals auch im Vergleich zu heute noch enorm teure) technische Infrastruktur der Unis und das Know-How der Informatikstudenten angewiesen. Die Mitarbeit war nur einer Technik-Elite möglich.

Trotz unterschiedlicher Geschichte sind diese verschiedenen Technologien inzwischen miteinander vernetzt; die Grenzen zwischen den früher getrennten Netzen sind für die Nutzer kaum noch spürbar, übergreifende Kommunikation ist leicht möglich. Die technischen Probleme sind in dieser Hinsicht wohl gelöst.

Die Fragen, die nicht ausdiskutiert werden konnten, betrafen den Nutzen und die Nutzung der Technik. Rena mahnte immer wieder zu bedenken, daß nicht alle auf dem hier innerhalb der letzten zweieinhalb Jahre erreichten Stand sind: nicht überall ist es so leicht und billig wie in Deutschland, einen Telefonanschluß zu bekommen; nicht alle haben eine Standleitung, bei der auch größere Datenmengen keinen großen Zeit- und Geldverlust bedeuten; nicht alle haben das Geld, immer einen Rechner auf dem technisch neuesten Stand zu besitzen; nicht alle haben einen kostenlosen Zugang an der Uni.

Die breite Verfügbarkeit billiger und schneller Internetzugänge läßt viele vergessen, was in der Vergangenheit längst ausdiskutiert worden ist. Zu beklagen ist dabei, daß heute noch mehr als früher die meisten Entwicklungen aus den USA kommen und damit Forderungen nach Privatsphäre und Datenschutz schwieriger durchzusetzen sind. Deutsche Lösungen aus der Vergangenheit werden dabei nur allzu schnell vergessen und alte Probleme (etwa das der Lese- oder Empfangsbestätigung) wieder neu diskutiert - mit neuen, nicht immer besseren Ergebnissen.

Die Verfügbarkeit und Bedienerfreundlichkeit des Internet ist gestiegen. Wenn sich damit Probleme wie Spam oder ein sinkendes Niveau der Diskussionen in den News ergeben, so ist dies ein Zeichen dafür, daß im Internet nunmehr die gesamte Gesellschaft repräsentiert ist, nicht mehr nur eine Elite an den Unis oder eine Subkultur mit eigenen Netzen. Alle Probleme im Internet sind also Probleme der Gesellschaft und können nur durch eine Veränderung der Gesellschaft angegangen werden.

Vernetzung beginnt im Kopf. Wenn die Menschen mit Hilfe des Internet miteinander kommunizieren sollen, so muß bei ihnen das Bedürfnis nach Kommunikation bestehen; eine erwünschte Kommunikation wird nicht durch die daran Beteiligten mit Spams, Werbung oder sinnlosen Mitteilungen gestört werden. Dies sind die eigentlichen Aufgaben für die Zukunft, nachdem die technischen Probleme gelöst sind, und auch das schlechteste Programm soweit funktioniert, daß die Kommunikation möglich ist.

Weiteres: www.foebud.org

Kerstin Lenz

Ankündigung



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